Meine Spielphilosophie

Im ersten Blogartikel zum Thema “Spielphilosophie” habe ich dargelegt, welche Faktoren für eine Flagfootball-Offense generell von Bedeutung sind. Heute stelle ich euch meine ganz persönliche Spielphilosophie vor.

Eine gute Planung und Vorbereitung der Spielzüge, die man einsetzen möchte, ist enorm wichtig. Noch viel wichtiger ist die richtige Umsetzung am Spielfeld. Während des Spiels entscheidet entweder der Coach oder der Quarterback, welcher Spielzug als nächstes gespielt werden sollte. Keine leichte Aufgabe, vor allem weil man für diese Entscheidung nur wenige Sekunden Zeit hat. Aus Mangel eines Coaches bei den Studs lernte ich, die Spielzüge selbst auszusuchen. Ich war froh, dass ich das von Anfang an auch im Nationalteam machen durfte. Obwohl es zusätzlichen Streß für den Quarterback bedeutet, halte ich es im Flagfootball dennoch für sinnvoll, wenn diese Aufgabe der Quarterback übernimmt. Ich wusste für mich am besten, welcher Spielzug in welcher Situation funktionierte und die besten Erfolgschancen hatte. Jeder Quarterback hat andere Stärken und Schwächen und andere Vorlieben in Bezug auf Routen und Spielzüge. Ein guter Offense-Coach bereitet den Quarterback perfekt auf das Spiel vor, beobachtet während des Spiels die gegnerische Defense und gibt Tipps, wie man deren Schwächen ausnutzen kann.

Ein weiterer, enorm wichtiger Bestandteil des Playcallings, der Auswahl der Spielzüge, war für mich die Rückmeldung der Receiver nach einem Spielzug. Ich war offen für alle Vorschläge und war froh, wenn mir Mitspieler ihre Beobachtungen mitteilten. Die Aussage sollte nur etwas mehr Inhalt haben als das klassische: “Ich war frei, wieso hast du nicht zu mir geworfen?” Dagegen war ich allergisch. Ich dachte mir immer: “Wenn du wirklich so frei warst und ich dich gesehen hätte, hätte ich zu dir geworfen. Entweder ich habe es nicht gesehen oder du liegst falsch”. In einigen Fällen mag der Receiver recht gehabt haben, manchmal sieht er das Spiel aber auch ganz anders als der Quarterback und merkt nicht, warum ein Wurf in seine Richtung nicht die richtige Entscheidung gewesen wäre. Eine unqualifizierte Rückmeldung bekam ich selten, vor allem weil ich meinen Receivern klarmachte, was ich von ihnen erwartete und mit welchen Informationen ich etwas anfangen konnte.

Perfekte Partner in Bezug auf Informationen von Receivern waren für mich immer Tom Pronnegg und mein Bruder Georg. Speziell Tom teilte mir in vielen Spielen seine subjektiven Beobachtungen mit, die mir halfen, in wichtigen Momenten den richtigen Spielzug zu finden. Er war es als ehemaliger Point Guard, sozusagen der Quarterback im Basketball, gewohnt, sich nicht nur auf sich selbst zu konzentrieren, sondern auch zu beobachten, was sonst am Feld passierte. Den wohl wichtigsten Hinweis erhielt ich von Tom im Spiel gegen Dänemark bei der Weltmeisterschaft 2012. Wir hatten denselben Spielzug bereits zweimal gespielt und Tom bemerkte, dass die Defense zweimal gleich reagiert hatte. Wir änderten eine Kleinigkeit, spielten den Spielzug noch einmal und erzielten einen einfachen Touchdown.

Manch andere Spieler waren nicht in der Lage, mir zu helfen, weil sie nur dann ihre beste Leistung bringen konnten, wenn sie sich zu hundert Prozent auf sich selbst konzentrierten. Gerade im Nationalteam waren es einige Spieler trotz meiner Ermutigungen nicht gewohnt, mit dem Quarterback zu kommunizieren, während die Offense am Feld war. Einigen anderen Quarterbacks verursachte das Feedback von Receivern zusätzlichen Streß mit dem sie nicht umgehen konnten. Ich kann es verstehen, nach dem Ende eines Spielzugs blieben nur wenige Sekunden bis man den nächsten Spielzug ansagte. Dazwischen musste man abhängig von der Position am Feld, dem Spielstand und der verbleibenden Spielzeit einen perfekten Spielzeug auswählen.

Meine Spielanlage war grundsätzlich eher konservativ und darauf ausgelegt mit drei Versuchen das first down zu erzielen und danach mit drei Versuchen die Endzone zu erreichen. Den vierten Versuch sah ich als Joker, wenn bei den anderen Versuchen etwas schiefging. Lange Pässe versuchte ich - aufgrund des höheren Risikos, dass der Ball vom Receiver nicht gefangen wurde und man so einen Versuch vergeudete - seltener zu verwenden. Gerade gegen gute Mannschaften war es schwer, einen langen Pass erfolgreich an den Receiver zu bringen. Absolut zu vermeiden versuchte ich die beiden schlechtest möglichen Ergebnisse eines Offense-Spielzugs. Interceptions und Sacks. Oft reicht es, schwere Fehler zu vermeiden, um erfolgreich zu sein. Ich musste natürlich trotzdem Touchdowns erzielen um zu gewinnen, aber unnötige Fehler, die zu einem Raumverlust oder gar einen Ballverlust führten, durften nicht passieren. Mir gelang dies recht gut, indem ich schnell bemerkte, welche Routen oder Spielzüge mir Schwierigkeiten bereiteten, weil ich den notwendigen Wurf nicht optimal ausführen konnte oder weil ich mit der Reaktion der Defense auf diese Routen Probleme hatte. Fühlte ich mich mit einem Wurf oder einem Spielzug nicht wohl, wurde er ersatzlos aus dem Playbook gestrichen. Ich verließ mich lieber darauf, was ich konnte und versuchte, dies noch weiter zu perfektionieren. Gelungen ist es mir vor allem dadurch, dass ich die gleichen Routen aus unterschiedlichen Aufstellungen spielte und damit eine Komplexitität der Spielzüge vortäuschte, die es gar nicht gab. Für mich standen die Receiver an einer leicht versetzten Position, der Rest war gleich. Für die Verteidigung sah es so aus, als ob wir einen gänzlich anderen Spielzug spielten, ohne zu realisieren, dass wir das gleiche schon einmal gemacht hatten.

Sobald der Spielzug ausgewählt war und die Offense ihre Aufstellung einnahm, war meine nächste Aufgabe, die Defense anzusehen. Vor jedem Spielzug entschied ich mich aufgrund der Aufstellung der Defense, welche beiden Receiver meine ersten Anspielstationen waren. Nach dem Snap wartete ich kurz die Reaktion der Defense ab, bevor ich mich entschied, welchen Receiver ich anspielen wollte. Nur ganz selten waren beide Receiver so gut verteidigt, dass ich auf eine dritte Option ausweichen musste. Um einen Sack zu vermeiden wagte ich in Wahrheit viel öfter einen schwierigen Wurf auf einen gut verteidigten Receiver als zu warten und auf eine dritte Option zu schauen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es keine “perfekte” Spielanlage gibt. Jeder Quarterback und jedes Team muss selbst herausfinden, wie man die eigenen Stärken am besten in Szene setzen kann. Der einzige Grundsatz, der jedoch für alle gilt, ist: Übung macht den Meister!