Die größte Flagfootball-Europameisterschaft aller Zeiten ist Geschichte. 19 Herrenmannschaften und 13 Damenmannschaften kämpften an drei intensiven Wettkampftagen in Limerick, Irland um die begehrten Titel. Wie ich erwartet hatte, war es ein enorm spannendes Turnier ohne klare Favoriten. Am Ende standen zwei Mannschaften ganz oben, die noch nie zuvor eine Goldmedaille erobern konnten.
Bei den Herren musste Dänemark erstmals seit 2007 (!) den obersten Podestplatz räumen. Deutschland holte sich nach einer grandiosen Leistung an allen drei Tagen den Europameistertitel. Es gelang ihnen als einzige Mannschaft, das Turnier ungeschlagen zu beenden. In allen drei K.O.-Spielen am Sonntag gaben sie von Beginn an den Ton an, spielten eine Führung heraus und brachten diese souverän über die Zeit. Österreich gewann wie 2011 und 2015 die Silbermedaille und zeigte einmal mehr, dass es seit zwei Jahrzehnten zu den Top-Nationen gehört. Bronze ging überraschend an Israel, die im Spiel um Platz 3 Titelverteidiger Dänemark vom Platz schossen. Dahinter folgten Großbritannien und Frankreich, die beide im Viertelfinale um nur einen Punkt verloren.
Ebenfalls den ersten Europameistertitel holten sich die britischen Damen nach einem Finalerfolg gegen den Titelverteidiger Spanien. Deutschland eroberte den dritten Platz und gewann somit auch im Damenbewerb eine Medaille. Mein Goldtipp Österreich spielte eine gute Vorrunde, scheiterte aber im Viertelfinale knapp und belegte letztendlich den fünften Platz.
Soviel zu den Ergebnissen, wer sind nun aber die Gewinner und die Verlierer der Europameisterschaft?
GEWINNER:
Deutschland
Zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft ist Deutschland die erfolgreichste Nation. Nach vielen Jahren, in denen es nicht rund lief, passte heuer endlich alles zusammen. Die deutsche Mannschaft hatte schon bei den World Games 2022 Potential gezeigt, konnte aber aufgrund mehrerer Covid-Infektionen das Turnier nicht beenden. Nicht nur der Sieg, sondern auch die Art und Weise wie souverän die deutschen Herren durch das Turnier gegangen sind, war äußerst beeindruckend. Die Damenmannschaft holte sich zudem zum zweiten Mal nach 2015 die Bronzemedaille und konnte so gemeinsam mit den männlichen Kollegen die Erfolge gebührend feiern.
Großbritannien
Schon in meinem Power Ranking berichtete ich, dass Großbritannien noch nie mit so hohen Erwartungen in eine Flagfootball-Großveranstaltung gegangen ist. Zurecht, wie man gesehen hat. In der Neuauflage des Finales von 2019 revanchierten sich die Britinnen an den Spanierinnen und holten den ersten Titel auf die Insel. Auch die Herrenmannschaft zeigte starke Leistungen und scheiterte im Viertelfinale am späteren Silbermedaillengewinner Österreich um nur einen Punkt.
Leistungsdichte
Das Schönste an der Europameisterschaft war für mich die Leistungsdichte und die Ausgeglichenheit an der Spitze. Während der letzten 15 Jahre war die einzige Frage nur allzu oft, wer hinter Dänemark bei den Herren und Österreich bei den Damen die weiteren Medaillen holen würde. Es war vorhersehbar, dass es dieses Mal keine großen Favoriten geben wird, meine Erwartungen wurden dennoch übertroffen. Mit ein bisschen Glück hätten sowohl Frankreich als auch Großbritannien, die die Plätze 5 und 6 belegten, ins Finale kommen können. Bei den Damen war es noch krasser: Zwar waren auch hier die ersten 6 Mannschaften nahezu auf Augenhöhe, aber zusätzlich verloren die Europameisterinnen in der Vorrunde gegen Tschechien! Im Nachhinein wohl die größte Sensation des gesamten Turniers. Ich hoffe, dass diese Leistungsdichte auch bei zukünftigen Turnieren anhalten wird. Schon jetzt freue ich mich auf die Weltmeisterschaft 2024, wo neben den Top 6 Nationen bei den Herren wohl auch wiedererstarkte Italiener und im Aufwind befindliche Schweizer das europäische Kontigent der Männer stellen werden.
IFAF
Im Rahmen der Organisation der Europameisterschaft ist einiges schief gegangen. Dennoch sehe ich die IFAF und das LOC (lokales Organisationskomitee) zumindest teilweise als Gewinner. Der Austragungsort war gut gewählt, die Organisation vor Ort sehr ansprechend, vor allem wenn man das Rekordteilnehmerfeld in Betracht zieht. Die Unterkünfte und die Verpflegung waren ebenfalls in Ordnung, auch wenn man beim Buffet öfter mit Wartezeiten rechnen musste. Die Livestreams der beiden Hauptfelder inklusive der Kommentatoren haben zwar noch Luft nach oben, waren aber auf jeden Fall eine Bereicherung. All das kann und muss noch verbessert werden, speziell im Hinblick auf die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees. Leider waren aber auch viele Dinge im Rahmen der Organisation dabei, die selbst bei einem lokalen Fußballturnier nicht passieren dürfen (siehe unten).
Power Ranking
Abgesehen davon, dass meine beiden Goldtipps nicht aufgegangen sind, bin ich mit meinem Power Ranking zufrieden. Bei den Herren hatte ich (mit etwas Glück) alle Viertelfinalspiele richtig vorhergesagt, bei den Halbfinalisten hat mir nur die 1-Punkt-Niederlage der Franzosen gegen die Israelis einen Strich durch die perfekte Vorhersage gemacht. Bei den Damen ist mein prognostizierter Sieger Österreich schon im Viertelfinale ausgeschieden, das Rennen war aber wie erwartet extrem spannend.
VERLIERER:
Power Ranking Deutschland
So zufrieden ich grundsätzlich mit meinem Power Ranking bin, die Tatsache, dass ich eine Nation unterschätzt habe, macht diesen Teil der Vorhersage zum Verlierer. Sowohl bei den Damen als auch bei den Herren übertraf Deutschland meine vor dem Turnier publizierten Erwartungen.
Italien
Ein sechster Platz bei den Damen und ein siebenter Platz bei den Herren war wohl nicht das, was man sich erwartet hatte. Das ELF-bedingte Fehlen mehrerer Leistungsträger bei den Herren wirft die Frage auf, wie man in Zukunft das italienische Flagfootball-Nationalteam zusammenstellen möchte. Falls der Sport olympisch wird, werden sich auch alle anderen Nationen diese Frage stellen müssen. Eines hat die Europameisterschaft aber gezeigt: Ein Team aus Tackle Footballern, die bei Grossereignissen zusätzlich Flagfootball spielen, ist nicht nachhaltig und für die Entwicklung des Spitzensports nachteilig.
IFAF
Schon im Vorfeld wurde der Weltverband nicht nur von mir, sondern auch von vielen anderen Seiten kritisiert. Zusammengefasst kann man sagen: Die Organisation von Flagfootball-Großereignissen läuft nicht rund. Schon bei den World Games (inwieweit die IFAF da involviert war, kann ich nicht sagen) wurde völlig unverständlich der Modus während des Turniers geändert und auch bei der Europameisterschaft ging Vieles schief. Bis wenige Tage vor dem Turnier war es unmöglich, Informationen über die Roster der teilnehmenden Mannschaften, die Gruppeneinteilung und den Modus zu bekommen. Als die Gruppeneinteilung dann endlich veröffentlicht wurde, schien Kamerun als teilnehmende Nation auf. Später hieß es, dass Serbien anreisen würde. Beide Nationen traten schlussendlich nicht an. Anfragen von mir an alle hochrangigen IFAF-Verantwortlichen blieben fast gänzlich unbeantwortet. Ich bekam eine einzige Antwort, in der mir versprochen wurde, dass ich auf den offiziellen E-Mail-Verteiler gesetzt werde und somit alle relevanten Informationen bekommen würde. Auch das geschah dann nicht. Für mich unverständlich, dass man beim letzten großen europäischen Turnier vor der Entscheidung des IOC so wenig Wert auf die Medien und die externe Berichterstattung legt. Während des Turniers gab es vereinzelt Probleme mit den Livestreams, Ergebnisse wurden verspätet und teilweise falsch veröffentlicht. Die Tiebreaker wurden extrem spät bekannt gegeben und dann bei der Vorrundentabelle zunächst nicht korrekt angewandt. Alles Punkte, die einem Weltverband nicht einmal ansatzweise passieren dürften. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen lernen und sich Anregungen der involvierten Spieler, Trainer und der Medien zu Herzen nehmen.